Plädoyer für den Erhalt historischer Fenster

Tgea-Plaz-1.jpg

Fenster sind so etwas wie die Seele eines Hauses. Ihre Grösse und Beschaffenheit beeinflussen das äussere Erscheinungsbild und die Atmosphäre im Innern. Neben dem Schutz der Innenräume vor Wind und Wetter, dienen sie der Belichtung und Belüftung der Häuser. Die Geschichte des Fensters ist bis heute geprägt durch funktionale Anforderungen, technische Neuerungen, insbesondere in der Glasherstellung, wie auch gestalterische und kulturelle Entwicklungen. Im Zuge der aktuellen energiepolitischen Diskussion gerät das baukulturelle Erbe und damit auch der historische Fensterbestand weiter unter Druck. Standen am Anfang der Entwicklung zur Verbesserung der Wärmedämmung zusätzliche Winter- und Vorfenster bei einfachverglasten Fenstern, die später zu Kastenfenster verbunden wurden, lassen sich heute mit Isolier- und Vakuumgläsern die grösstmögliche Wirkung erreichen. Häufig lassen sich aber bereits mit einfachen Massnahmen starke energetische Verbesserungen erzielen.

Aufgrund der vielgestaltigen Funktionalität und Bedeutung unterliegen Fenster seit jeher einem grossen Veränderungsdruck. Neue technische Anforderungen hinsichtlich Wärme- Lärm-, Einbruch- und Brandschutz und das Aufkommen neuer Materialien wie Aluminium und Kunststoff haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer starken Abnahme des Bestands an historischen Fenstern geführt. Neben dem baukulturellen Erbe gehen dabei immer auch handwerkliche Fertigungstechniken und lokale Traditionen verloren, was Stefan Höhn, diplomierter Handwerker der Denkmalpflege, bedauert:

Obwohl historische Fenster aktuelle Normen in den wenigsten Fällen erfüllen, sind die entsprechenden energietechnischen Kennwerte weit besser als allgemein angenommen und können durch Unterhalt, Reparatur oder mit minimalen Eingriffen weiter gesteigert werden.
— Stefan Höhn

Auf der Grundlage einer denkmalpflegerischen Bestandsaufnahme können unter Berücksichtigung von bauphysikalischen Rahmenbedingungen, Nutzeranforderungen und finanziellen Aspekten häufig verhältnismässig einfache Lösungen zum Erhalt der historischen Fenster erarbeitet werden. Bei historisch wertvollen Fenstern besteht die wichtigste Massnahme in der Erhaltung und der sorgfältigen Reparatur des Bestandes. Die häufigsten Schäden an Holzfenstern sind abblätternde Farbanstriche, brüchiger Leinölkitt, Verwitterung der Wetterschenkel und mangelnde Dichtigkeit der Fensterflügel. Für die energietechnische Aufwertung und Ertüchtigung der Fenster steht mit den alten Fertigungstechniken vertrauten Handwerkern wie Stefan Höhn eine ganze Palette von Eingriffen zur Verfügung. So können historische Fenster beispielsweise durch das Ersetzen defekter Holzteile, dem Richten von Beschlägen, einem verstärkten Anpressdruck des Glases, der Erneuerung von Kittfugen sowie einem neuen Anstrich oder zusätzlichen Dichtungen energetisch stark verbessert werden. Der im alpinen Raum häufig vorkommende weisse Anstrich der Fensterrahmen dient dabei nicht primär der Zierde, sondern verringert das Aufheizen und damit den Verzug der Fensterrahmen. Auf der sonnenzugewandten Seite ist die Fassade von Holzhäusern im Sommer nicht selten Temperaturen von über 80 Grad Celsius ausgesetzt. Eine periodische Erneuerung dieses weissen Anstrichs ist denn auch eine wichtige Massnahme zum Erhalt der Fenster. Letztere gehörten in der Geschichte eines Hauses stets zu den wertvollsten Bauteilen. Eine gängige Praxis war es, ausgediente Innenfenster im Zuge einer Renovation als Vorfenster wiederzuverwenden. Wind und Wetter ausgesetzt, traten die ehemaligen Innenfenster damit in die letzte Phase ihres Lebenszyklus.

Stefan Höhn, Mitinhaber von hûs.ch, widmet sich seit vielen Jahren mit Hingabe und Know-how der Restaurierung historischer Fenster. Als Teil einer umfassenden Fassadenrenovation eines unter Schutz stehenden barocken Bruchsteinbaus aus dem 16. Jahrhundert in Präz am Heinzenberg identifizierte Stefan Höhn nach der ersten Bestandsanalyse Fenster aus drei Jahrhunderten mit typischen Beschlägen und Glasteilungen. Der älteste Bestand befand sich in den Schlafräumen im 2. Obergeschoss des Haupthauses, Einzelflügel mit handgeschmiedeten Winkelbändern auf Federkloben und einer vierfachen Binnenteilung aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert. Im Hinterhaus befand sich eine zweite Serie Fenster, paarweise angeordnete Einzelflügel mit Mittelstock und einer sechsteiligen Binnengliederung. Fitschenbänder mit sog. Basler Kopf und Vorreiber an Flügel und Lüftungsflügel, deuten auf eine Erstellung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hin. Im Obergeschoss des Vorderhauses fanden sich schliesslich Fenster der dritten Renovationsetappe, deren Binnenteilung und Griffolivenform auf die 1920/30 Jahre deutete.

Für das unter Denkmalschutz stehende Haus stellte er einen kompletten Satz neuer Vorfenster her. Die vier- bis sechsfeldrigen Lärchenholzflügel, teils noch mit Lüftungsflügeln versehen, erstellte Stefan Höhn in Handarbeit und stattete diese mit bestandsgerechtem Zieh- resp. Zylinderglas aus. Je nach Saison können sie ein- resp. ausgehängt werden und verbessern so den Wärmedämmkoeffizienten der Bestandsfenster. Die Erhaltung der historischen Fenster ist nicht nur aus gestalterischen und denkmalpflegerischen Überlegungen sinnvoll, sondern zahlt sich auch monetär aus. «Preislich liegt ein solches Vorfenster weit unter einem neuen denkmalgerechten Isolierglasfenster und der Vorteil für die Gesamterscheinung des Gebäudes liegt ebenfalls auf der Hand», meint Stefan Höhn. Hinzu kommt, dass es in einzelnen Kantonen für die Sanierung und den Erhalt von historischen Fenstern staatliche Zuschüsse gibt, auch für Bauten, die nicht unter Schutz stehen. 

Ein weiteres Restaurierungsprojekt in Präz betraf die Fenster eines verschalten Blockbaus, ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert. Die Fenster in der sehr schön erhaltenen Stube mit Balken-Bohlendecke wurden zur Mitte des letzten Jahrhunderts mit Fitschenbändern und Stossriegelverschlüssen aufgewertet, wobei das Rahmenwerk aus Lärche vermutlich aus einer früheren Zeit stammt. Die Fenster schlossen schlecht, lotterten in den Beschlägen und der Kitt war in den unteren Bereichen praktisch nicht mehr vorhanden. Die Restaurierungsarbeiten umfassten die komplette Demontage der Flügelrahmen, deren Reinigung und das Anfertigen von Reparaturen zur erneuten Aufnahme der Beschläge. Die Tropfleiste musste bei allen Flügeln ersetzt werden. Dem Alter der Beschläge entsprechend ersetzte Stefan Höhn defekte Gläser mit gezogenem Glas und verkittete alle Fensterflügel neu mit Leinölkitt. Die bereits industriell hergestellten Beschläge wurden entrostet und geölt. An den Fensterrahmen wurden zum besseren Schutz vor Zugluft moderne Gummidichtungen eingefräst.

Im Zuge der Umsetzung energiepolitischer Ziele gerät der Bestand historischer Fenster weiter unter Druck. Dies obwohl der Bestand an schützenswerten Bauten in der Schweiz insgesamt klein und die von ihm verbrauchte Energiemenge wie auch die mit ihm zu realisierenden Einsparmöglichkeiten vergleichsweise gering sind. Umso mehr als historische Bauten vor dem ersten Weltkrieg eher kleine Fensterflächen aufweisen. Ihr Anteil an der Fassadenfläche beträgt häufig weniger als 10%, so dass auch der Ersatz historischer Fenster trotz hoher Kostenfolgen und dem Verlust an baukulturellem Erbe nicht zu den erhofften energetischen Einsparungen führt. Wie die beiden Beispiele aus Präz zeigen, lassen sich bei historischen Fenstern häufig mit vergleichsweise einfachen, intelligent geplanten Massnahmen ansehnliche energetische Verbesserungen erzielen. Hinzu kommt, dass die energetische Gesamtbilanz historischer Fenster unter Einbezug der grauen Energie über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg in der Summe noch besser ausfällt. Dank verantwortungsbewussten Eigentümern historischer Bauten und versierten Handwerkern wie Stefan Höhn können wertvolle historische Zeugnisse und Gestaltungselemente für die kommenden Generationen bewahrt und erhalten werden.

Tgea-Plaz-2.jpg
Weiter
Weiter

Goldgelbes Gewürz aus eigenem Anbau